|
Piano Magazine, 3/2000 Mai/June
Bach and Jazz
"Take Bach" Die neue Platte von Güher and Süher Pekinel und dem Jacqüs Loussier Trio
von Güher und Süher Pekinel
Warum beschäftigt sich gerade ein Klavierduo mit Bach and Jazz, werden sich die Zuhörer fagen, die sich für unsere neu erschienene Platte "Take Bach" interessieren. Es ist eine lange Entwicklung, die uns dahin geführt hat.
Der Komponist Johann Sebastian Bach verkörpert für uns seit unserer Kindheit das Spiegelbild eines realen und gleichzeitig multidimensionalen Denkens. Bei ihm, und nur bei ihm, finden wir das endlose Suchen und Formulieren von Transparenz und Transzendenz in direktem Einklang. Die grosse Legitimität Bachs beruht auf seiner unerschöpflichen Vision, gleichzeitig im Gewesenen, im Jetzigen und im Werden zu sein.
Bereits vor mehreren Jahren sind wir mit Bob James in "Bach und Computermusik" einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Das Multidimensionale in Bachs Mathematik hatte uns schon immer fasziniert. Das Labyrinth der verschiedenen Stimmführungen über- und untereinander bewirkt im Besonderen durch die sehr genau mit- und gegeneinander dualisierenden Triolen, 16-tel- und 32-tel-Figuren einen solchen rhythmischen "Drive", dass man durch Weglassen oder Hinzufügen nur weniger Elemente automatisch eine Synkopierung der Jazz-Elemente hört.
Ist das eine Verfremdung von Bachs Music? Nein! Durch das Abstrahieren gewinnt die Musik eine neü Dimension. Sie wird transparent und transzendent zugleich. Für uns eröffnen sich durch das Improvisieren neü Wege. Das Mathematische beginnt sich zu lesen; Leichtigkeit wird zur Tugend und bringt Swing ins Spiel.
Für uns enthält Bachs Musik grosse Modernität und erlaubt gerade durch ihre Strenge eine enorm flexible Freiheit. Durch die Integration von Jazz wird das Entstehen einer völlig neün Ebene bewirkt. Die Grösse und Zeitlosigkeit von Bachs Musik wird auch hier offenbar!
In dieser Hinsicht hat uns die Arbeit mit Jacqüs Loussier eine neü Vision von Bach eröffnet, wofür wir ihm sehr dankbar sind. Es war kein leichter Weg für uns "Klassiker", frei zu werden von einigen streng traditionellen Werten, ohne sie zu verlieren ... - frei zu werden für einen neün Atem ...
Loussiers Bach-Visionen faszinierten uns schon während unserer Schuljahre. Bereits beim ersten Zuhören entdeckten wir damals mit Erstaunen, dass er eine neü, ihm eigene Form zwischen Komposition und Improvisation gefunden hatte, die durch den Fokus von Jazz-Elementen Neüs zu Tage förderte.
Für unsere Pianistengeneration, die den Gould'schen Bach-Interpretationen nahe stand, war dies eine willkommene Entdeckung. Die Entwicklung führte uns später zu Bill Evans und George Shearing, den wir als grossen Poeten von "Jazz für Klaviersolo" sehr schätzen lernten (und dem übrigens auch Loussier sehr nahe steht).
Sowohl Shearing als auch Evans und Loussier haben ihren absolut prägnanten Stil im Jazz gefunden. Alle drei Pianisten areiten nicht nur mit Bach, sondern verarbeiten und kombinieren auch die Harmonien von Brahms, Schumann, Debussy, Ravel, Satie und Milhaud.
Wie wir wissen, hat Dave Brubeck mit Schönberg und Milhaud zusammengearbeitet. Bartok hat für Benny Goodman das Trio "Kontraste" geschrieben, Strawinsky sogar Jahre lang in Jazz-Bars "übernachtet" und unter anderem dem Woody Herman Orchestra das "Ebony-Concerto" gewidmet. Die Entwicklung reicht heute von Penderecki bis Boulez.
Dies zeigt, dass Jazz - wenn auch ursprünglich in New Orleans geboren - Jahre später auch ein europäisches Idiom entwickelt hat, welches die klassischen Faktoren mit dem Heute auf eine ungewöhnliche Weise verbindet. Dies erlebten wir übrigens quasi "hautnah" bereits vor einigen Jahren in der Juilliard School, an der Studenten aus aller Welt zusammentreffen und wo morgens zum frühen Einspielen statt Chopin-Etüden oder Bach-Fugen Jazz-Improvisationen die unzähligen übungsräume beherrschen.
Wie kann eine "ungewöhnliche" zu einer "idealen" Verbindung zusammenwachsen? Kann überhaupt eine jahrhundertelang total in sich gefestigte, Abweichungen negierende Form ihr Gegenteil, die "Form der Freiheit", akzeptieren lernen? Unserer Meinung nach ist dies ein natürlicher Entwicklungsprozess. Jede Art von heutiger Musik erlebt intensiv die Globalisierung auf ihre Weise, in der Gegensätze aufeinander stossen, sich auflösen und eine neü Symbiose entstehen lassen. Dieses zeichnet auch die moderne Musik aus. Während sie das Radikale geniesst und gleichzeitig an Grenzen stösst, entwickelt sie eine neü Form und Freiheit und nähert sich sowohl im Komponieren als auch im beim Improvisieren symbolisch mehr und mehr dem Jazz.
"Fusion" und "Weltmusic" stehen am Anfang einer neün ära, wobei auch der Jazz neü Partnerschaften suchen und eingehen wird.
englische Fassung
|
|